Ich habe mir letztes Jahr zwei Yantras (geometrische Darstellungen spiritueller Aspekte) auf meine Unterarme tätowieren lassen. Mein Tätowierer fragte dann natürlich auch, was es damit auf sich hat und wozu das gut ist. Als ich dann anfing ihm von Tantra zu erzählen, trat ein Ausdruck des Wiedererkennens in sein Gesicht und er sagt: “Ach, ja. Das ist doch das mit Orgasmus nach innen, richtig?” Und da waren sie wieder meine drei Probleme. Denn es gibt drei wichtige Antworten darauf: Ja, Nein und ein wenig 🙂
Was ist da also los mit Tantra und Sex und was hat das ganze jetzt auch noch mit Yoga zu tun? Let’s go!
Klingt erstmal verwirrend
Das geht den meisten so, wenn sie von Tantra hören und eine sehr lange Zeit, wenn sie anfangen sich mit Tantra zu beschäftigen. Und das hat diverse Ursachen. Zum einen können wir heute grob zwischen zwei Dingen unterscheiden, die beide Tantra heißen. Das eine bezieht sich auf einen alten, spirituellen Weg – klassisches Tantra – und das andere auf eine neuzeitliche Strömung, die sich in erster Linie aus der sexuell Befreiungsbewegung der 60er und 70er Jahre entwickelt hat – Neo Tantra (ich werde weiter unten auf beide noch etwas genauer eingehen).
Dazu kommt, dass klassisches Tantra auch keine einheitliche Strömung oder Lehre ist, sondern über Jahrhunderte in erster Linie geheim von einem Lehrer an seine Schüler weitergegeben wurde. Dadurch sind nicht nur sehr viele unterschiedliche, sich zum Teil auch widersprechende, Schulen und Ideen entstanden, sondern auch viel Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Das macht es natürlich schwer, einen Einstieg in Tantra zu bekommen, wenn jede potenzielle Tantra-LehrerIn eine ganz andere Vorstellung davon hat, was Tantra ist. Aber, das macht auch eine der großen Stärken und einen großen Teil der Schönheit von Tantra aus, dass es viel Raum lässt, ohne einzuengen.
Neo Tantra – die heilige Sexualität

Wann immer du von Tantra in Zusammenhang mit Sex hörst, geht es wahrscheinlich um Neo Tantra. Als Neo Tantra bezeichnen wir eine moderne, westliche Variation, die sexuelle Aspekte und Ideen aus Buddhismus und Hinduismus mit diversen Aspekten von New Age Philosophien verbinden. Das wesentliche Merkmal ist, dass Sex und die Transformation sexueller Energie im Vordergrund von Lehre und Philosophie steht.
Das kann von sehr stark heilerisch und/oder therapeutisch geprägten Ansätzen gehen (wie z.B. tantrische Massagen) – hier geht es vor allem um eine gesunde Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität. Bis zu sehr spirituell geprägten Ideen. Hierbei ist vor allem Osho zu erwähnen, der die Idee von Sex als moderne Interpretation und Praxis von Tantra im Westen populär gemacht hat.
In den meisten Fällen ist es wahrscheinlich eine wilde Mischung aus beidem, in der mal das eine und dann wieder das andere überwiegt. Wie gesagt, steht hier Sex sehr stark im Vordergrund und in beiden Fällen hat es meistens sehr wenig mit klassischen Tantra zu tun.
Pañcamakāra – Was Tantra wirklich mit Sex zu tun hat
Was hat es also mit klassischem Tantra zu tun bzw. woher kommt die Idee, dass Tantra und Sex überhaupt etwas miteinander zu tun haben? Wenn man anfängt sich mit Tantra zu beschäftigen, stößt man sehr schnell auf die Begrifflichkeit des “Pfades der rechten und der linken Hand”. Damit sind zwei grundlegende Ausrichtungen innerhalb des Tantra gemeint, worin der “rechte Pfad” als Pfad beschrieben ist, in dem keine gesellschaftlichen und religiösen Normen gebrochen werden und der “linke Pfad” als ein Weg, der bewusst den Tabubruch in die spirituelle Praxis integriert.

Diese beiden Wege sind nicht unbedingt scharf voneinander abgegrenzt. Das heißt jemand der klassisches Tantra praktiziert wird sich wahrscheinlich irgendwo auf einem Spektrum zwischen diesen beiden Punkten finden. Der Tabubruch spielt eine große Rolle im klassischen Tantra, da es darum geht, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern und zu überwinden. Vor allem auch darum, zu erkennen, dass die Art, wie wir das Leben wahrnehmen eigentlich nur eine Ansammlung an Geschichten unseres Geistes sind. Nicht die eigentliche Realität.
Das bekannteste (man darf glaube ich auch sagen berüchtigtste) Ritual im Tantra ist das sogenannte Pañcamakāra, oder die fünf M’s. Die fünf “M” stehen für die fünf Dinge, die in der damaligen religiösen Praxis verboten oder zumindest streng reglementiert waren. Das sind
- Der Genuss von Wein (madya)
- Der Verzehr von Fisch (matsya)
- Der Verzehr von Fleisch (mamsa)
- Der Konsum von Drogen (mudra)
- Geschlechtsverkehr (maithuna)
In fortgeschrittener tantrischer Praxis werden diese Elemente in die Praxis integriert. Und das sowohl tatsächlich als auch symbolisch. Und hier ist es wichtig, zu unterscheiden. Die wenigsten Tantriker alter Tage haben das Pañcamakāra mit den tatsächlichen Elementen praktiziert. Zum einen, weil die tatsächliche zu-sich-Nahme und Praxis eine Tradition des linkshändigen Pfades ist, nicht aber des rechtshändigen.
Und zum anderen – und das wird selten erwähnt – weil das Pañcamakāra unterschiedlich praktiziert wird, je nach dem Erfahrungsstand der Übenden. So ist es für die wenig Erfahrenen vollständig symbolisch, da diese nicht unterscheiden können zwischen ihren körperlichen Begierden und der symbolischen Bedeutung der Praxis. Für die weit Fortgeschrittenen ist die Praxis rein geistig, da diese keine grob stoffliche Unterstützung brauchen, um das Ritual zu praktizieren. Bleibt die Gruppe derer, die spirituell weit genug entwickelt sind, dass sie sich von ihren körperlichen Begierden und Leidenschaften gelöst haben und bereit sind, Pañcamakāra als spirituelle Übung zu erfahren und ihren Geist darüber frei werden zu lassen.
Es geht hier also explizit nicht um das Ausleben von Sinneserfahrungen oder das Schwelgen in den körperlichen Leidenschaften.
Tantra Yoga – Sex in klassischer Tantra Praxis

Also hat Tantra nichts mit Sex und Spaß zu tun. Doch! Tantra ist ein Weg, der im Gegensatz zu anderen, mehr asketisch orientierten Traditionen das Leben in all seinen Facetten wahrnimmt, anerkennt und zelebriert. Und dazu gehört auch Sex. Sex ist ein bedeutender Teil unseres Lebens und spielt für uns alle eine mehr oder weniger große Rolle. Im gleichen Ausmaß sollte Sex auch eine Rolle in unserer spirituellen Praxis spielen. Tantra lehrt uns Achtsamkeit und Aufmerksamkeit gegenüber allen Dingen im Leben. Und Tantra lehrt uns, dass sowohl Mukti (die Vervollkommnung, Befreiung oder Erleuchtung) als auch Bukti (die Freuden des Seins) wichtige Ziele des spirituellen Weges sind. Du sollst Dich genießen und Du sollst Dein Leben in vollen Zügen leben. Nichts ist wirklich Tabu, jede Erfahrung ist letztendlich göttlich.
Der wichtige Punkt ist, dass Du Dir Deiner eigenen Göttlichkeit auch bewusst bist. Dass Du in allem, was Du tust, das Große und vollkommene Ganze siehst. Sex kann dabei ein großartiges Werkzeug sein. Es kann Dich mit seiner Intensität aber auch schnell ablenken. Was wir im Tantra üben ist wahrzunehmen. In der Lage zu sein, intensive Erlebnisse voll und ganz zu erleben und sich nicht einfach nur davon wegtragen zu lassen.
Ultimativ führt diese Praxis dazu, dass wir alle Bereiche unseres Lebens klarer und intensiver wahrnehmen. Und das gilt auch für Sex. Ohne, dass eine Praxis in unseren Stunden dabei explizit sexuell ist. Die Fähigkeit, jeden Augenblick Deines Lebens voll auszuschöpfen und in jedem Moment völlig präsent zu sein, wird jeden Aspekt Deines Lebens verändern. Auch Deinen Sex. Und ich kann Dir versprechen: Es lohnt sich 😉
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Namastē